Am schönsten sind wir, wenn wir niemandem gefallen wollen

Als ich an der Planung dieses Beitrags sass fiel mir plötzlich auf, dass mein Thema sehr mädchenlastig ist. Das hat nun weniger mit dem erst kürzlich begangenen Weltfrauentag und den damit einhergegangenen medialen Erwähnungen zu tun, als viel eher damit, dass bei uns zu Hause schlicht die Frauen klar in der Überzahl sind. Somit liegt der Fokus in meiner kleinen Nähwelt hauptsächlich auf der weiblichen Garderobe. Da dieser Schwerpunkt ja nun nur für eine sehr eingeschränkte Leserschaft interessant ist habe ich nun hin und her überlegt, wie ich dieses Beitragsungleichgewicht zumindest in der Zukunft etwas mindern könnte.

Meine Familie so lange zu vergrössern bis auch ich ein männliches zu benähendes Model habe, kommt nicht in Frage. Das übersteigt meinen Blogger-Ehrgeiz nämlich definitiv. Ich könnte also Hilfe brauchen: das Thema outsourcen, wie man so schön sagt! In diesem Sinne darum, liebe trotzdem-noch-mitlesende Bubenmama-Nähbloggerin: vielleicht hättest Du ja Lust, bei Gelegenheit ein kleines Gast-Beiträgelchen über Jungsklamotten auf unserem Blog zu schreiben..?

Edit: Und damit bin ich nun auch gleich mit plumpem Schwung ins Geschlechterklischee-Fettnäpfchen gehüpft: gerne darfst nämlich auch Du, lieber trotzdemtrotzdem-noch-mitlesender Jungspapa-Nähblogger oder ihr, liebe trotzdem-noch-mitlesende Jungseltern-Teamworknähblogger dich beziehungsweise euch bei uns für einen Gastbeitrag melden! 😉

Über Geschlechterklischees und Stereotypen

Nun aber zu meinem heutigen Thema: Ich muss zugeben, nähtechnisch bin ich mit so viel zu benähenden Mädchen in meiner Familie ja in einer komfortablen Lage. Mädchen und Frauen „dürfen“ aus der gängigen gesellschaftlichen Sicht alles tragen: Hosen, Anzüge, Pullis, Shorts aber eben auch Röcke und Kleider. Und auch bei der Stoffauswahl kann ich aus dem Vollen schöpfen, ganz nach meinem Gusto oder dem der Trägerin.

Umgekehrt ist es leider noch immer schwierig: den Jungen in einem Röckchen zum Einkaufen mitnehmen? Hosen nähen aus einem Sweat in einem beerenton? Kann man machen. Und muss damit rechnen, ungefragt einen entsprechenden Kommentar zu hören zu bekommen. Und zwar nicht nur von der älteren Generation.

Vieles sitzt noch immer fix in den Köpfen fest. In letzter Zeit brachten meine Kinder öfters Freundschaftsbücher zum Ausfüllen nach Hause, deren Seiten abwechselnd rosa („Ich bin Prinzessin…) und blau („Ich bin Prinz…) gestaltet waren. Die Prinzessinnen oder Prinzen konnten dann unter anderem auch aus einer vorgegebenen Auswahl ankreuzen, was sie gerne mal werden möchten.

Prinzessinnen: Prinzessin, Ballettänzerin, Model oder Fee.

Prinzen: Ritter, Indianer, Pirat oder Cowboy.

Echt jetzt?! Wer denkt sich sowas heutzutage noch aus?

Groove Dress Big Pink Waves

Meine jüngste Tochter im Kindergartenalter hat sich vor einiger Zeit mit einem Jungen darüber gestritten, ob Mädchen kurze Haare haben und Jungs lange Haare tragen können. Der Junge meinte ‚Geht nicht‘! Die Folge davon war, dass meine Tochter mich so lange bearbeitete, bis ich mit ihr zur Frisörin ging, damit sie sich die Haare kurz schneiden lassen konnte. „Ich will kurze Haare. So wie der Junge.“ sagte sie dann auch festentschlossen auf der doppelten Kindersitzerhöhung auf dem Frisörstuhl sitzend. Und, wohl um noch eines draufzulegen, wünschte sie sich auch gleich noch einen rasierten Zickzack auf der einen Seite. Quod erat demonstrandum. Mädchen können auch kurze Haare haben.

(Und ich als Mami schwanke in meinen Gefühlen einerseits zwischen Stolz auf ihre selbstbewusste Unbeirrtheit und andererseits zweifle ich etwas daran, wie gut ich das leicht trotzig-kämpferische „etwas beweisen wollen“ finde. Würde ich diesen Zwiespalt wohl auch fühlen, wenn meine Tochter ein Junge wäre..?)

Eine meiner anderen Töchtern liess sich übrigens vom neuen Look ihrer kleinen Schwester anstecken. Nun trägt auch sie die Haare kurz und beide fühlen sich unglaublich stark und schön!

Mein Buchtipp

Ein bei uns zu Hause sehr begehrtes Buch – ein Dauerbrenner – ist übrigens „Wilde Mädchen“ von Kate T. Parker. Es ist ein Bildband, in welchem über 175 Mädchen fotografisch porträtiert sind. Egal ob sportlich oder kreativ, abenteuerlich und mutig oder ruhig und nachdenklich. Jedes Portrait vermittelt Kraft und Selbstbewusstsein und wird ergänzt mit einer Aussage des jeweiligen Kindes. Grace (13 Jahre), ein Mädchen mit einer Football-Bemalung im Gesicht, zum Beispiel meint „Ein Mädchen zu sein, ist doch keine Einschränkung. Das Geschlecht ist egal. Ich kann so ziemlich alles machen.“ Oder zum Thema Furchtlos & Stark meint Tayla (6 Jahre), auf einem Surfbrett stehend, „Ich habe mich vor dem tiefen Wasser gefürchtet, doch eigentlich ist es egal, wie tief es ist. Ich bin nie hineingefallen.“

Das Buch ist kein Vorlesebuch im eigentlichen Sinne. Meine Töchter lieben es aber abends im Bett für sich alleine noch darin herumzublättern und sich inspirieren zu lassen. Ich denke, das macht den entscheidenden Unterschied aus: die Quintessenz wird nicht von mir als Erwachsener mittels möglichst logischen Worte auf der Vernunftsebene versucht an das Kind zu bringen. Das bringt ja meistens bekanntlich eh nichts. Nein, hier werden die Kinder emotional von den wirklich ausdruckstarken und authentischen Fotos abgeholt, angesprochen und ermutigt. Definitiv Prädikat ‚Empfehlenswert‘!

Buch Wilde Mädchen von Kate T. Parker, mvgverlag
Unser Buchexemplar – mit sichtlichen Gebrauchsspuren
Rückseite Buch Wilde Mädchen von Kate T. Parker, mvgverlag
„Wilde Mädchen“ von Kate T. Parker, mvgverlag

Über Stoff &  Schnitt

Abrupter Wechsel nun aber zum eigentlichen Kernthema unseres Blogs: Als ich eines Tages die frisch ausgepackten Big-Waves Ballen von Tyglycka im Laden sah, sprang der Stoffliebe-Funken gleich rüber! Das tolle Wellenmuster gab es (ja, gab! Türkis ist tatsächlich schon ausverkauft!) in drei verschiedenen Farbtönen: eben Türkis, Blau und Pink. Da das Muster meiner Meinung nach vor allem grossflächig gut wirkt, suchte ich ein Schnittmuster, welches auch möglichst grosse Schnitteile hat. Fündig wurde ich beim „Groove Dress“ von Madeit Patterns. Das Kleid kann man in verschiedenen Versionen nähen: mit oder ohne Kapuze, hinten und vorne unterschiedlich oder gleichlang, diverse Ärmellängen oder mit einem Schalkragen. Ich habe das Schnittmuster als E-Book gekauft, ausgedruckt und zusammengeklebt. Es ist zwar auf Englisch, aber da es ein sehr einfacher Schnitt ist und die einzelnen Nähschritte ausserdem gut und bebildert erklärt werden, sollten auch mangelnde Sprachkenntnisse kein allzu grosses Hindernis darstellen. Das Kleid gibt es übrigens auch für Teens und Erwachsene.

Groove Dress Big Pink Waves

Für die Fütterung der Kapuze habe ich einen orangenen Jerseyrest aus meinem Stoffvorrat verwendet. Das Kleid kam so gut an, dass sich sogar auch meine älteste, nicht mehr immer einfach zu benähende, Tochter eines gewünscht hat. Das liess sich natürlich sehr gerne machen. 😉

Groove Dress Paapii Design Tyglycka
Noch ein Groove Dress – diesmal aus dem Biojersey ‚Plait‘ von Paapii Design

Tipps über Nähen mit Jersey

Rosina hat vor einiger Zeit viele hilfreiche Hinweise zum Jerseynähen zusammengefasst, ihr findet die Beiträge hier:

Nicht nur für reine Nähanfänger interessant! 🙂

Und wer sich etwas genauer für die tollen Tyglycka-Stoffe im Allgemeinen interessiert, findet im Beitrag Tyglycka Jersey Stoffe – Designperlen aus Schweden ein paar Hintergrundinformationen dazu.

 

Wie erlebt ihr eigentlich beim Nähen die gängigen Geschlechterklischees? Achtet ihr bei der Stoffwahl auf „Jungs-“ oder „Mädchen“-Stoffe – oder vielleicht sogar genau absichtlich nicht? Was würdet ihr euch wünschen? Ich würde mich freuen, eure Gedanken dazu zu lesen!

 

Herzlich,

Franzisca vom Yingdesign-Team

 

P.s.: Im Sinne der gegenseitigen Emanzipation: auch Jungs und Männer dürfen/können nähen 😉 und wer dabei noch Unterstützung braucht, bekommt diese z.B. am Samstag 13. April 2019 im Nähkurs „Shirt für den Mann, genäht vom Mann“ im Schlossatelier Hegi in Winterthur (Schweiz)

 

 


Stoffe:

Big Pink Waves von Tyglycka, Jersey GOTS-zertifiziert

Plait turquoise von Paapii Design, Bio-Jersey

 

Schnittmuster:

Groove Dress Girls/Teens von Madeit Pattern

 

Buchtipp:

„Wilde Mädchen“ von Kate T. Parker, mvgverlag

ISBN: 978-3-86882-896-2

In der Buchhandlung eures Vertrauens erhältlich

 

Nachtrag: 

Kate T. Parker hat im gleichen Stil übrigens auch noch eine Jungs-Version dieses Buches veröffentlicht: „The Heart of a Boy“. Allerdings soweit ich das sehe nur auf Englisch. Aber die Bilder sprechen ja sowieso für sich 😉


 

Diesen Blogbeitrag verlinke ich bei Freutag, Bio-Linkparty und Kiddikram

6 Kommentare bei „Am schönsten sind wir, wenn wir niemandem gefallen wollen“

  1. Wunderbarer Beitrag, den ich frühmorgens lese (nachdem ich nach einer Wanderung im Malcantone todmüde ins Bett fiel…. ) Danke Franzisca. Den Buchtip will ich mir merken für ein Mitbringsel in einen Frauenhaushalt 🙃 Und das Schönste: ich habe Paapii UND Turquis Wave bereits auf meinem Nähtisch !!!!
    Nicht für Töchter sondern für mich (70+)
    Cordialmente,
    Antonia 🌺

    1. Liebe Antonia,
      und ich freue mich sehr über deinen lieben Kommentar, welchen ich (mittlerweile nicht mehr so ganz früh-)morgens lesen darf, danke! 🙂
      Die beiden Stoffe sind toll, gell. Ich wünsche Dir gutes Nähen und viel Freude dann beim Tragen!
      Herzliche Grüsse,
      Franzisca

  2. Das ist ein schwieriges Thema! Aber eigentlich ist es total einfach, wenn jeder jeden machen ließe, wie er will! Mädels in kurzen Haaren find ich Spitze! Besser als dünne Haare flatterig zu züchten und das als Frisur auszugeben.
    Ich habe hier einen Jungen mit Locken und ein blondes Mädel mit kurzen Haaren. Und nicht selten passiert es, dass mein in Bagger und blau und grün gehüllter Knabe als Mädchen (“ aber da sind ja so schöne Locken! ) und mein Mädel als Junge angesprochen werden. Manche denken einfach nichts!
    Ich selber nähe schon geschlechterspezifisch, also kein rosa für meinen Sohn. Wohl aber rot.
    Und für mein Mädel nähe ich gerne Mädelsschnitte in „Jungsfarben“, also z.B. Tunika in blau.
    Großen Anklang im Kindergarten fand ein Kleid aus Baggerstoff, worauf meine kleine auch sehr stolz ist, denn sie liebt Bagger!

    Viele Grüße Wica

    1. Liebe Wica,
      Danke Dir für deinen Kommentar! Ja, da gibt es noch ganz viel fixe Vorstellungen in unseren Köpfen. Oftmals ist nicht eine Überzeugung, sondern einfach mangelndes Hinterfragen der Grund für solche automatisierten Klischees. Baggerstoffe sind sehr cool und ich finde es toll von deiner Tochter, dass sie sich da nicht beirren lässt! Genauso wie sich dein Junge mit seinen Locken wohlfühlt! Ihr macht das super!
      Herzliche Grüsse,
      Franzisca

  3. Die Kleider sehen beide toll aus. Vielen Dank für die Buchempfehlung.
    Mein langhaariger Sohn trägt was ihm gefällt und wird damit öfter mal für ein Mädchen gehalten.

    1. Liebes Tüdelband,
      Auch Dir vielen Dank für deinen Kommentar! Dein Sohn soll so bleiben, wie er sich wohlfühlt und ich wünsche ihm, dass er sich nicht verunsichern lässt! Einer der Patenonkel meiner Mädels trägt übrigens lange Haare und ist gerade darum ihr grosses Vorbild in Sachen „ich darf aussehen, wie ich mich wohlfühle“ 😉
      Liebe Grüsse und alles Gute,
      Franzisca

Schreibe einen Kommentar